Leben in Groß-Umstadt

Trinkwasseraufbereitung

TWA-Beitrag in Fachzeitschrift veröffentlicht

TWA-Beitrag in Fachzeitschrift veröffentlicht

Aushängeschild: Interessante Einblicke in die moderne Trinkwasseranlage

In der aktuellen Ausgabe der führenden Fachzeitschrift der deutschen Gas- und Wasserbranche „DVGW energie | wasser-praxis“ ist ein detailreicher Bericht über die Trinkwasseraufbereitungs-anlage (TWA) in Groß-Umstadt zu lesen. DVGW ist der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. Die Autoren des Berichtes sind Dr. Uwe Müller, Projektleiter Umkehrosmose und Forschungskoordinator beim TZW: DVGW-Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe und der Groß-Umstädter Björn Mattheß, Abteilungsleiter der Wasserversorgung und Abwasserreinigung der Stadt.

Bürgermeister René Kirch ist stolz darauf, mit einer solch modernen Anlage Vorbildcharakter einzunehmen: „Unsere Trinkwasseranlage ist ein Aushängeschild für unsere Stadt und sichert mit höchster Qualität die Wasserversorgung für unsere Bürgerinnen und Bürger. Daher möchten wir den Interessierten den spannenden Bericht natürlich nicht vorenthalten.“  

Nitratentfernung mit Umkehrosmose: Vom Konzept zur Umsetzung

Steigende Nitratkonzentrationen im Grundwasser stellen Wasserversorgungsunternehmen vor Herausforderungen, um im Trinkwasser den Grenzwert der Trinkwasserverordnung einzuhalten. Sofern wünschenswerte, vorbeugende Maßnahmen im Einzugsgebiet nicht fruchten sind Wasserwerke gefordert, anderweitige Lösungen umzusetzen. Das Beispiel von Groß-Umstadt in Hessen zeigt, wie die Umkehrosmose als maßgeschneiderte und betriebsstabile Alternative für die Entfernung von Nitrat im Wasserwerk eingesetzt werden kann.

Ausgangssituation

Die Wasserversorgung der Stadt Groß-Umstadt bei Darmstadt in Hessen versorgt mehr als 20.000 Einwohner in Groß-Umstadt und den eingemeindeten Stadtteilen mit Trinkwasser. Dazu ist die Wasserversorgung in mehrere Versorgungsgebiete untergliedert, wobei das Trinkwasser aus 13 Brunnen und sieben Quellen gewonnen wird. Die Tiefzone und die Hochzone Groß-Umstadt sowie im Spitzenbedarf fünf weitere Stadtteile wurden ursprünglich im Wesentlichen über eine Pumpstation mit 700.000 m³/a Trinkwasser versorgt. Hierzu wurde Grundwasser aus fünf Brunnen gefördert und verteilt. Die einzelnen Brunnen sind unterschiedlich ausgebaut und fassen Grundwasser aus einer Tiefe von ca. 30 bis 90 m.

In den letzten drei Jahrzehnten nahm die Nitratkonzentration im Wasser der fünf Brunnen kontinuierlich zu. In einzelnen Brunnenwässern erreichten die Nitratkonzentrationen zum Zeitpunkt der Planung im Jahr 2016 etwa 60 mg/L. Nur durch Mischung der Wässer konnte in dieser Zeit der Grenzwert der Trinkwasserverordnung von 50 mg/L gerade noch eingehalten werden. Der ansteigende Trend der Nitratkonzentrationen wurde frühzeitig durch die Wasserversorgung erkannt und Maßnahmen zum Einzugsgebietsschutz initiiert. Beispielsweise förderte die Stadt Groß-Umstadt über Rahmen- und Kooperationsverträge mit der Landwirtschaft grundwasserschonende Bewirtschaftungsmaßnahmen im Bereich der Brunnen. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Gewässerschutz und Landwirtschaft (AGGL) im Auftrag des Landes Hessen zur Verminderung des Nitrat- und Phosphoreintrages wurde dem Gebiet um Groß-Umstadt die höchste Maßnahmenpriorität zugeordnet. Allerdings gelang es mit den verschiedenen vorsorgenden Maßnahmen nicht, den Anstiegs der Nitratkonzentration hinreichend zu vermindern. Nach aktuellen Messergebnissen vom November 2022 besteht Situation mit Nitratkonzentrationen von bis zu 61 mg/L fort.

„Um trotz hoher Nitratwerte weiter Trinkwasser aus ortsnahen Rohwasserfassungen bereitstellen zu können, waren wir gefordert, technische Maßnahmen zu ergreifen“, so fasst Björn Mattheß, Betriebsleiter der Wasserversorgung und Abwasserreinigung bei der Stadt Groß-Umstadt, die damalige Lage zusammen. Im Jahr 2017 begannen die Wasserversorgung der Stadt-Groß-Umstadt eine Zusammenarbeit mit dem TZW: DVGW-Technologiezentrum Wasser, um eine Umkehrosmoseanlage zu konzipieren. In Deutschland werden bisher knapp 100 Umkehrosmoseanlagen in der öffentlichen Wasserversorgung betrieben. In die Konzeption vieler dieser Anlagen war das TZW involviert. Umkehrosmoseanlagen in Deutschland werden überwiegend zur zentralen Enthärtung eingesetzt. Bedingt durch den relativ geringen Salzgehalt der Rohwässer im Inland, kann ein Betrieb mit einem wesentlich geringeren Druck und einem entsprechend geringen Energiebedarf im Vergleich zu Meerwasserentsalzungsanlagen erfolgen. Die Umkehrosmoseanlagen im Inland werden daher oft als Niederdruck-Umkehrosmoseanlagen bezeichnet.

Wasserinhaltsstoffe werden durch Niederdruck-Umkehrosmose unspezifisch und mehrheitlich praktisch vollständig zurückgehalten. Der Rückhalt von Nitrat mit knapp 90 %, abhängig vom Membrantyp, ist allerdings etwas geringer als beispielsweise von Calcium oder Sulfat, wo oft mehr als 98 % Rückhalt erreicht werden. Alle entfernten Wasserinhaltsstoffe liegen im Konzentrat vor. Um das Ausfallen von schwer löslichen Salzen auf der Membran (Scaling) zu verhindern, werden verschiedene Maßnahmen vorgesehen. Die Dosierung einer inhibierenden Substanz (Antiscalants) in den Zulauf der Umkehrosmose, typischerweise weniger als 0,5 mg/L bezogen auf die Wirksubstanz, erlaubt den Betrieb bei einer höheren Ausbeute und damit einer besseren Energieeffizienz. „Die Umkehrosmose kann beim Anlagendesign hervorragend an lokale Anforderungen angepasst werden. Nicht zuletzt ist die Umkehrosmose gut automatisierbar, was im Endeffekt weniger Personaleinsatz bedeutet.“, erläutert Dr. Uwe Müller, Projektleiter des TZW.

Die Brunnenwässer von Groß-Umstadt sind mit einer elektrischen Leitfähigkeit von ca. 900 μS/cm (25 °C) relativ stark mineralisiert. Die Nitratgehalte in den Brunnen liegen zwischen 38 und 62 mg/L. Die Härte bewegt sich je nach Brunnen im Bereich zwischen 17 und 27 °dH. Zudem weisen die Brunnenwässer ein hohes Calcitabscheidepotential von 10 bis 37 mg/L auf. Dies impliziert ein relativ hohes Scalingpotential bei der Behandlung mit Umkehrosmose, was bei der Anlagendimensionierung zu berücksichtigen ist. Eisen und Mangan wurde nicht nachgewiesen. Unter bestimmten Witterungsbedingungen kann eines der fünf Brunnenwässer etwas erhöhte Trübungen aufweisen, was auf Basis langjähriger Betriebserfahrungen jedoch keine separate Aufbereitungsstufe erfordert.

Konzeption der Umkehrosmoseanlage

Die Umkehrosmose wurde für eine maximale Trinkwasserabgabe von 126 m³/h konzipiert. Dazu werden die Wässer der fünf Brunnen in Groß-Umstadt in einem Rohwasserbehälter zusammengeführt und in zwei Teilströme aufgeteilt. Ein Teilstrom wird mit Umkehrosmose behandelt. Der zweite Teilstrom wird ohne Behandlung um die Umkehrosmose herumgeführt. Beide Teilströme werden wieder verschnitten, einer mechanischen Entsäuerung unterzogen und abschließend durch UV-Bestrahlung desinfiziert.

Bei der Konzeption der Umkehrosmoseanlage wurden verschiedene Lastfälle zur Ermittlung der erforderlichen Trinkwassermenge betrachtet. Dabei wurden mögliche Außerbetriebnahmen von einzelnen Brunnen sowie die erforderlichen Trinkwasserbedarfe bei Normal- und Spitzenabgabe berücksichtigt. Im Ergebnis wurden zwei Umkehrosmose-Straßen mit einer Trinkwasserproduktion von jeweils 63 m³/h vorgesehen, welche variierende Trinkwasserbedarfe ohne längere Stillstandszeiten abdecken können und eine Redundanz gewährleistet. Das Mischungsverhältnis von behandelten und unbehandelten Teilstrom bestimmt die Zusammensetzung des Trinkwassers. Im vorliegenden Fall wurde das Verhältnis so gewählt, dass im Trinkwasser eine Nitratkonzentration von ca. 23 mg/L resultiert. Diese vergleichsweise geringe Konzentration wurde seitens der Verbraucher gewünscht. Mit der Nitratentfernung verbunden ist naturgemäß auch eine Verminderung der Härte. Im vorliegenden Fall beträgt die Härte im Trinkwasser 8,7 °dH. 

Für eine Prognose zum künftigen Anstieg der Nitratkonzentration im Rohwasser wurden spezifisch für jeden Brunnen Szenarien entwickelt. Nitratkonzentrationen von bis zu 90 mg/L in bis zu zwei der fünf Brunnen können mit der gewählten zweistraßigen Konfiguration der Umkehrosmoseanlage beherrscht werden. Unter diesen Bedingungen steigt im Trinkwasser die Nitratkonzentration auf bis zu 32 mg/L an. Damit wird der Grenzwert der Trinkwasserverordnung von 50 mg/L weiterhin deutlich unterschritten. Für den Fall von einem noch extremeren Anstieg der Nitratkonzentration in mehreren Brunnenwässern wurde planerisch die Nachrüstung einer dritten Straße vorgesehen. In einem solchen Fall würde praktisch eine Vollstrombehandlung des Rohwassers erfolgen. Daher wurde ebenfalls eine Teilstromaufhärtung des Permeats bestehend aus einer Kalkfilterstufe mit Kalksilo einschließlich CO2-Dosierung planerisch vorgesehen.

Auf Grund des relativ hohen Scalingpotentials des Mischwassers der fünf Brunnen wurden bereits bei der Konzeption der Umkehrosmoseanlage folgende Gegenmaßnahmen vorgesehen:

(1) Die Ausbeute der Umkehrosmoseanlage wurde auf 77 % beschränkt. Daraus errechnet sich unter Berücksichtigung des Teilstroms eine Gesamtausbeute von 84 % für die Umkehrosmose-Anlage zur Nitratentfernung.

(2) Im Ablauf der zweiten Stufe wurde eine relativ hohe Abströmgeschwindigkeit des Konzentrates vorgesehen. Dadurch bildet sich das Konzentrationsprofil an der Membranoberfläche weniger stark aus (Konzentrationspolarisation). Für die Realisierung wurden 6 Druckrohre in der ersten Stufe und lediglich 2 Druckrohre in der zweiten Stufe vorgesehen. Jedes Druckrohr enthält jeweils 6 Umkehrosmose-Membranmodule und weist unter Berücksichtigung der Verrohrung eine Länge von etwa 7 m und ein Durchmesser von etwa 20 cm auf.

(3) Um das Risiko der Bildung von Kristallisationskeimen auf der Membranoberfläche zu vermeiden, wenn Konzentrat oder Rohwasser in der Anlage verbleibt z.B. bei betriebstypischen Anlagenstillständen in Phasen geringen Trinkwasserbedarfs wurde eine Permeatspülung vorgesehen. Vor Abfahren der Anlage wird Rohwasser bzw. Konzentrat durch Permeat aus der Anlage verdrängt. Der Permeatbedarf für diese Maßnahme ist mit weniger als 1 % der produzierten Permeatmenge gering.

(4) Sofern Scaling auftritt steht eine stationäre CIP-Anlage (CIP: Cleaning in Place) zur Verfügung, mit der jede der beiden Membranstufe einer Straße getrennt gereinigt werden kann.

Als Antiscalant wurde ein Mischprodukt aus Phosphon- und Polyacrylsäure gewählt. Das Konzentrat wird in die Kanalisation abgleitet.

Großtechnische Umsetzung und Betriebserfahrungen

Die Anlage wurde vom planenden Ingenieurbüro Jung in einem Gebäude mit einer Grundfläche von ca. 300 m² untergebracht. Im Außenbereich wurde für die oben beschriebenen möglichen Erweiterungen der Aufbereitungsanlage eine zusätzliche Fläche von 140 m² planerisch reserviert. Zur Energieversorgung des Wasserwerks wurde eine Photovoltaikanlage mit bis zu 63 kWh sowie eine Netzersatzanlage mit einer Leistung von 320 kW realisiert. Dadurch gelingt bei flächendeckenden Stromausfall ein netzunabhängiger Betrieb der Anlage für vier Tage. Das Gebäude für die Netzersatzanlage befindet sich neben der Aufbereitungsanlage (Bild 2). Die Behälter für Rohmischwasser, Reinwasser, Permeat und chemische Reinigung (CIP) wurden gemeinsam mit den Pumpen und der Umkehrosmoseanlage im Kellergeschoß angeordnet. In Bild 3 sind im Vordergrund die beiden kompakt angeordneten Umkehrosmose-Straßen zu sehen. Im unteren Teil jeder Straße sind die sechs Druckrohre der ersten Stufe und darüber die beiden Druckrohe der zweiten Stufe angeordnet. Die Behälter im Hintergrund gehören zur CIP-Anlage. Die beiden Flachbettbelüfter zur physikalischen Entsäuerung mit Ventilatoren, Lagerraum mit Doppelboden für den Antiscalant befinden sich gemeinsam mit der Schaltwarte, einem Labor- und Besprechungsraum im Erdgeschoß.

Die Anlage ist mit einer umfangreichen MSR-Technik ausgerüstet. In der Schaltzentrale laufen etwa 2.700 Datenpunkte zusammen. Ein Teil davon gehört zur Umkehrosmoseanlage, wo online alle Drücke und Flüsse erfasst werden. Wasserqualitätsparameter wie elektrische Leitfähigkeit, Nitratwerte und pH-Wert werden ebenfalls online-überwacht.

Die Anlage wurde am 01.10.2021 in Betrieb genommen und verfügt zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels über Betriebserfahrungen von 18 Monaten. Durch die Gegenüberstellung der bei Planung ermittelten Parameter und den nach Inbetriebnahme gemessenen Werten wurde ersichtlich, dass der vorausberechnete Druck im Feed und damit der korrespondierende Energiebedarf allein für den Umkehrosmoseprozess von ca. 0,23 kWh bezogen auf den m³ Trinkwasser etwa dem großtechnisch gemessen Wert entspricht. Etwas unterschätzt wurde hingegen der Druckverlust in der Anlage (höherer vorausberechneter Druck im Konzentrat), was hier jedoch keine praktischen Auswirkungen hat. Eine ebenfalls sehr gute Übereinstimmung zeigt sich für die vorausberechnete und gemessene Trinkwasserqualität. Analoges gilt für die Konzentratbeschaffenheit. Hierbei ist auch erkennbar, dass die Konzentration an Phosphor gesamt im Konzentrat mit ca. 0,5 mg/L vergleichsweise gering ausfällt, obgleich das Rohwasser ein relativ hohes Scalingpotential aufweist.

Seit Inbetriebnahme läuft die Anlage stabil. Eine chemische Reinigung der Membranen (CIP) wurde bisher nicht vorgenommen, da sowohl Drücke und Salzrückhalt konstant bleiben. Der Aufwand für Betrieb einschließlich Wartung beträgt durchschnittlich 16 Stunden pro Monat. Die Anlage ist ein gutes Beispiel wie moderne Technik für lokalen Anforderungen maßgeschneidert werden kann, um auch ungewöhnlicher Herausforderungen effizient zu lösen.

Quelle: DVGW energie | wasser-praxis.